Können Vegetarier auch Stakeholder sein?
Oder: Warum wir wieder mehr miteinander reden müssen – und die Grillparty nicht zu unterschätzen ist.
Zwischen Filterblase und Frust – wo sind unsere Stakeholder geblieben?
Stakeholder-Management findet heute oft zwischen Excel-Tabellen, Risiko-Matrizen und bunten PowerPoint Präsentationen statt. Alles schön strukturiert, alles gut gemeint – aber irgendwie auch weit weg vom echten Leben. Dabei geht es bei Stakeholder-Management nicht um eine Kategorie. Es geht um Menschen. Um Stimmen und Stimmungen. Um Beziehungen.
Und manchmal – um die Frage: Können eigentlich auch Vegetarier Stakeholder sein?
Natürlich ist das eine ironische Zuspitzung (inspiriert von einem gar nicht so seltenen Schreibfehler im Wirtschaftsalltag). Aber sie macht deutlich, wie schnell wir verlernen, zuzuhören. Wie schnell wir Menschen auf Eigenschaften, Konsumverhalten oder politische Haltung reduzieren. Die eigentliche Frage müsste lauten: Dürfen alle mitreden, die betroffen sind? Und wenn ja – warum behandeln wir sie dann oft wie Statisten in einem Wirtschaftstheater?
Shareholder vs. Stakeholder – einer gegen alle?
Das alte Denken: Wer zahlt, bestimmt. Wer investiert, redet mit. Wer mitreden will, soll Aktien kaufen. Shareholder first.
Doch diese Logik greift zu kurz. Denn ohne das Vertrauen der Stakeholder ist auch das beste Geschäftsmodell nicht viel wert. Ohne gesellschaftliche Akzeptanz kein Marktzugang. Ohne Dialog keine Entwicklung. Ohne Transparenz keine Glaubwürdigkeit.
Edward Freeman definierte Stakeholder als "jede Gruppe oder Einzelperson, die die Erreichung der Unternehmensziele beeinflussen kann oder von dieser beeinflusst wird". Das war 1984, und der Gedanke war revolutionär.
Ohne die Unterstützung relevanter Anspruchsgruppen ist kein Unternehmen langfristig überlebensfähig. Ob NGOs, Mitarbeitende, Wissenschaft, Kund*innen oder Kommunen – wer glaubt, sie umgehen zu können, hat das Spiel schon verloren, bevor es richtig begonnen hat.
Der Stakeholderdialog: Nicht PR, sondern Realität
Echter Stakeholder-Dialog ist kein Buzzword und keine kosmetische Maßnahme. Es geht nicht darum, kritische Stimmen zum Verstummen zu bringen. Es geht darum, ihnen Raum zu geben.
Das bedeutet:
• Verstehen, bevor man bewertet.
• Zuhören, bevor man sendet.
• Kooperieren, bevor man reagiert.
Ein historisches Beispiel: Als Shell 1995 plante, die ausgediente Ölplattform "Brent Spar" im Nordatlantik zu versenken, besetzte Greenpeace die Plattform. Der Protest wurde weltweit zum Thema. In Deutschland brachen die Umsätze an Shell-Tankstellen um 50 Prozent ein. Shell lenkte ein – und versenkte die Plattform nicht.
Der Dialog selbst ist ein Instrument der Wertschöpfung. Wer ihn ernst nimmt, erkennt Risiken früher, versteht Bedürfnisse besser – und verhindert Eskalationen, bevor sie entstehen.
Neue Orte für alten Austausch: Die Grillparty als Plattform
Manchmal braucht es keine High-Level-Dialogformate. Manchmal reicht ein Grill.
Denn wo, wenn nicht dort, treffen Stakeholder der realen Welt aufeinander? Der Mittelständler stellt seinen Gasgrill zur Verfügung. Die Fridays-for-Future-Aktivistin bringt Tofu-Spieße mit. Der lokale Politiker kommt mit Würstchen und Kartoffelsalat. Dort wird gestritten, gelacht, argumentiert. Es geht um Tempolimits, Ladesäulen und Verbrennermotoren – aber auch um Würde und Wirklichkeit.
Die Grillparty ist mehr Stakeholder-Dialog als so mancher Roundtable. Sie ist unprätentiös, ehrlich und spontan. Man kennt sich vielleicht und man sieht sich immer wieder.
Was uns als Gesellschaft zusammenhält, sind nicht nur Gesetze oder Verträge – es ist das Gefühl, gehört zu werden. Verantwortung heißt auch: anderen Verantwortung zutrauen. Gerade in einer Zeit, in der Vertrauen schwindet, braucht es mehr Brücken als Barrikaden.
Fazit: Ja, Vegetarier können Stakeholder sein. Und Biker auch. Und Elektromobilfahrer. Und und und.
Stakeholder sind nicht die "anderen". Sie sind wir alle.
Und vielleicht beginnt der notwendige Dialog ja wirklich am Grill. Vielleicht sogar dann, wenn einer ruft:
Gibt’s auch was Veganes?"
Und die Antwort lautet:
"Klar.“ Und nicht: „Wie bist Du denn drauf?"
Denn: Kommunikation ist kein Tool. Sie ist eine Haltung. Auch in Unternehmen, Vereinen und Verbänden.